Fiktives, nicht ganz ernst gemeintes Interview anläßlich einer Piano-Solo-Matinée 1997 mit eigenen Kompositionen in Bielefeld-Sennestadt... 😉!

"HOLZKAMPS REISE"

Der junge Komponist Franck Adrian Holzkamp sucht unbeirrt den schönen Klang in den vom Zeitgeist zerklüfteten Tonlandschaften der sogenannten "Neuen Musik"

Von unserem österreichischen Berichterstatter Leopold Wurmdobler.
Das Gespräch fand statt im "Café Bräunerhof" in Wien.

Leopold Wurmdobler Grüß Gott, lieber Maestro.
Franck Adrian Holzkamp Grüß Gott, Herr Wurmdobler.
LW Vorab: mutet es nicht ein wenig eigentümlich an, das Informationsgespräch für eine Claviermatinée in Bielefeld-Sennestadt im „Bräunerhof“ in Wien zu führen?
FAH Ach, wissen Sie, ein jeder hat nun einmal so seine Seelenheimat, und die muß ja nicht notwendigerweise an seinem tatsächlichen Aufenthaltsort liegen.
LW Soll das etwa heißen, unser Gespräch fände gar nicht hier in Wien statt, sondern nur in Ihrem Kopf?
FAH Dieses zu entscheiden, überlasse ich gerne Ihnen und den geneigten Lesern.
LW Nun ja, zu Ihrer Musik: haben Sie irgendwelche Vorbilder?
FAH Sicherlich, die hat ja ein jeder.
LW Nennen Sie sie, bitte.
FAH Also… (überlegt)… was die Transparenz angeht: Truman Capote, in puncto Wahrhaftigkeit: Ernest Hemingway und - last not least - bezüglich der Lebensintensität und unverhohlenen Trinkfreude: Charles Bukowski.
Die Schönheit sich in Zeitlosigkeit zeitgebunden wiederholender Muster fand ich formvollendet vorgebildet bei Thomas Bernhard.
LW Das sind aber alles Literaten…
FAH … wir sind im "Bräunerhof"! Was erwarten Sie?
Außerdem gehöre ich nicht zu der Sorte Musiker, die Marcel Proust für eine belgische Biersorte hält.
LW Aber es muß doch auch musikalische Vorbilder geben.
FAH Schon... (überlegt, diesmal etwas länger…) Jacques Offenbach, Charlie Parker, Gilbert Bécaud und natürlich Mozart.
LW Ah… (seufzt seelig)… Der Liebe Gott der Musik! (Seufzt noch einmal.) Vor allem die Sänger lieben Ihn.
FAH Klar, wie sollten sie auch nicht?
Sänger wollte ich übrigens auch einmal werden. (Kichert)
LW So, so. Nun aber etwas ernsthafter, wenn's recht ist: eines Ihrer neueren Clavierstücke, gleichzeitig das Intermezzo aus Ihrer neuen Oper, heißt "Casanovas Reise".
Ist das Reisen ein "Leitmotiv" Ihrer Arbeit?
FAH Nennen wir es lieber eine "idée fixe". Wie mein Vorname, nomen est omen, schon sagt, bin ich recht francophil. Und Reisen, pardon: Leben und Werk sind - denke ich - nicht zu trennen.
LW Also die "idée fixe" Ihres Lebens: die Reise.
FAH Ja, ich bin unterwegs, der Weg ist das Ziel (alles rein materialistisch Funktionalistische ist mir ein Greuel!), und meine Musik ist die klingende Beschreibung dieser Reise.
LW Sie leben ja jetzt in Göttingen.
Würden Sie sich nicht gerne in Frankreich niederlassen?
FAH Ja, sehr. Das Licht in Südfrankreich riecht nach Musik.
LW Hatten Sie Erfolg in Frankreich?
FAH Ich hatte noch nirgends Erfolg. (Außer in Prag! Anm. d. Red.) Aber in Frankreich war es am schlimmsten. Während ich ein Zwölfttonstück, eine Jugendsünde, spielte, begannen angetrunkene Menschen im Publikum mit dem Absingen der Marseillaise. Es war schrecklich.
LW Bei einem Zwölftonstück? Geschieht Ihnen ganz recht!
FAH Fehler macht jeder mal. Als zeitgenössischer Komponist fängt man ja heutzutage gewissermaßen in der Sackgasse an und versucht dann daraus hervorzukommen.
LW Die Zwölftöner und Postseriellen sind also nicht gerade Ihre Freunde?
FAH Nicht einmal die Postmodernen. Schauen Sie: nicht jeder, der mit Hans Sedlmayr den "Verlust der Mitte" beklagt, ist deshalb gleich automatisch ein ein Erzreaktionär. Ein muskalisches System wie die Zwölftonigkeit, das die modulatorischen Wesensqesetze der Musik leugnet und ablehnt, kann ich nunmal nicht ernst nehmen. Was es in seiner Abstraktheit hervorbringt, mag faszinierd sein, es ist jedoch zutiefst lebensfern und findet seit nunmehr etwa achtzig Jahren nicht etwa zunehmend mehr, sondern gleichbleibend wenig Zuhörer, weil ein normal veranlagter Mensch sich so etwas einfach
nicht anhören kann. Schauen Sie sich doch einmal an, wohin die ganze 
zeitgenössische Musik geht. Es ist schier zum aus der Haut fahren. Ich will ja nicht, daß wir alle nur noch Marianne Rosenberg, Roberto Blanco und… na, wie heißt doch gleich der größenwahnsinnige, höhensonnengebräunte Erfolgsmensch, der, der seine nicht kochenwollende Ehefrau dauernd verkloppt hat?
LW Dieter Kohlen?
FAH Bingo! Genau der. Also ich meine, ich wäre als Musiker ja der Letzte, der sich wünschen würde, die Leute hörten nur noch so einen ganz stumpfen, ungeistigen Schwachsinn, aber ich will eben raus aus dem Elfenbeinturm, eine modeme Musik machen, die die Leute sich auch anhören wollen - und können! - ohne zwangsweise Adorno gelesen und vierzehn Semester Musikwissenschaft studiert zuhaben.
LW Naja… (räuspert sich zweifelnd). Zurück zu den singenden Franzosen: wie haben Sie reagiert?
FAH Ich habe mir sofort mein Tangoaccordéon umgeschnallt und habe mitgesungen, ist doch klar. Ich kann ja noch von Glück sagen, daß dieser Vorfall sich nicht in Passau ereignet hat, denn das Horst-Wessel-Lied hätte ich gar nicht gekonnt.
LW Sie scheinen kein großer Inländerfreund zu sein.
FAH Dafür ein Menschenfreund. Sehen Sie: eigentlich bin ich ein sehr deutscher Mensch, obwohl ich weder einen Teckel oder Wohnwagen noch ein Theaterabonnement besitze. Dafür alle deutschen Tugenden, allerdings außer Gründlichkeit, Pflichtbewußtsein, Pünktlichkeit, Fleiß und diesen ganzen anderen preußischen Kram.
LW Spaßvogel! Was bleibt dann noch, außer Sonnabends einmal mit dem Golf durch die Waschstraße zu fahren?
FAH Humor und Liebe….. (lächelt verschmitzt und betrachtet lüstern das Photo seiner Freundin an dem vor ihm auf dem Tisch liegenden Schlüsselanhänger.)
LW Sehr witzig, in der Tat. Und wahnsinng deutsch.
Ihre Musik, ist die denn deutsch?
FAH Was haben Sie denn dauernd mit Ihrer tümelnden Waldseeligkeit?
Deutsch!? Ungefähr so deutsch wie die Form meiner Fußnägel!
LW Was genau soll das nun wieder heißen?
FAH Das soll heißen, daß Bellini nicht deutscher ist als Beethoven und Rachmaninow nicht französischer als Ravel.
LW Oh làlà…
FAH … und so fort. Eine Ausnahme gibt es freilich: Brahms!
Der ging zwar nach Wien und schrieb hier türkische Tänze.
LW Ungarische!!!
FAH … na gut: ungarische Tänze, aber nicht mal so konnte er sein Norddeutsch ablegen. Dagegen war ja selbst Wagner ein Portugiese unter den Nordkoreanern.
LW So, bitte... (stöhnt angestrengt)… das ufert mir langsam zu sehr aus. Ich denke unsere Leser haben begriffen, worum es Ihnen zu tun ist. Danke für dieses Gespräch, aber sagen Sie, hätte es nicht ein einfacher tabellarischer Lebenslauf für die Vorabinformation auch getan?
FAH Das erwähnen Sie erst jetzt??? Hier ist er.
(Legt ein vorbereitetes Papier auf den Tisch.)
Bekomme ich vielleicht noch einen Sliwowitz dafür?